Gemeinsam mit Campact und Mehr Demokratie hat foodwatch beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen das EU-Handelsabkommen mit Singapur eingereicht. Die Kritik: Das Abkommen steht exemplarisch für eine neue Art von Freihandelsverträgen, mit denen weitreichende Kompetenzen auf die Europäische Union übertragen werden – ohne, dass der Deutsche Bundestag beteiligt ist.
Das EU-Handelsabkommen mit Singapur (EU-Singapore-Free-Trade-Agreement, EUSFTA) sieht ähnlich wie das bereits ratifizierte Abkommen mit Kanada (CETA) die Einrichtung von demokratisch nicht-legitimierten Handelsausschüssen vor. Diese könnten in Zukunft Entscheidungen treffen, die unter Ausschluss des Europaparlamentes tagen und tief in das Leben der europäischen Bürgerinnen und Bürger eingreifen.
Beispiele von solchen sogenannten Vertragsgremien im Rahmen des Singapur-Abkommens sind der Ausschuss für Handel, der unter anderem das Recht hat, Kennzeichnungsregeln für Lebensmittel zu erlassen oder der sogenannte SPS-Ausschuss, der Anforderungen an die Schädlingsfreiheit beim Import und Export von Lebensmitteln tierischen Ursprungs festlegen kann. Die Ausschüsse sind sogar ermächtigt, den Text und die Struktur des völkerrechtlichen Vertrags zwischen der EU und Singapur zu ändern. Die Beschlüsse der Ausschüsse sind völkerrechtlich bindend.
Bundestag muss über EU-Handelsverträge abstimmen
Am Donnerstag legten in Karlsruhe die Organisationen foodwatch, Campact und Mehr Demokratie Verfassungsbeschwerde gegen das im Februar vom EU-Parlament verabschiedete Singapur-Abkommen ein. Mehr als 13.000 Menschen aus Deutschland haben sich dem Vorhaben als Co-Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer angeschlossen. Die Kritik: Mit dem Singapur-Abkommen werden Kompetenzen auf die EU-Ebene übertragen, ohne dass der Deutsche Bundestag angemessen beteiligt wird.
Denn bei den umfassenden Handelsverträgen neuer Generation, wie es zum Beispiel das CETA-Abkommen und auch das Abkommen mit Singapur sind, geht es nicht mehr nur um klassische Außenhandelspolitik wie den Abbau von Zöllen, sondern um Regulierungen, die tiefgreifende Auswirkungen „hinter der Grenze“ haben. Die EU kann über diesen Weg ohne demokratische Kontrolle in die Mitgliedstaaten hineinregieren.
Das Aktionsbündnis forderte, dass der Bundestag über Handelsabkommen wie den EU-Vertrag mit Singapur abstimmen und klar definiert werden muss, welche Kompetenzen und Rechte auf die EU-Vertragsgremien übertragen werden. Andernfalls wird die Demokratie geschwächt und die Europäische Union bei den Bürgerinnen und Bürgern an Akzeptanz verlieren.
Das Aktionsbündnis geht davon aus, dass die Entscheidung der Karlsruher Richterinnen und Richter maßgeblich dafür sein wird, wie in Zukunft über Handelsabkommen entschieden wird.
Unzulässige Übetragung von Kompetenzen
Der Prozessbevollmächtigte des Aktionsbündnisses, Prof. Dr. Wolfgang Weiß, vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht der Universität Speyer: „Durch das EU-Singapur-Abkommen findet eine unzulässige Kompetenzübertragung vom Nationalstaat auf die Europäische Union statt – ohne die Zustimmung des Bundestages. Diese Kompetenzübertragung schwächt die demokratische Teilhabe des deutschen Parlamentes an der europäischen Politik.“
Das EU-Handelsabkommen mit Singapur ist ausverhandelt. Das Europaparlament hat dem Vertrag im Februar zugestimmt, die endgültige Verabschiedung durch den Europäischen Rat steht kurz bevor. Die Parlamente in den Mitgliedstaaten dürfen allerdings nicht abstimmen. Denn nach der Kritik an Abkommen wie dem EU-Kanada-Freihandelsabkommen CETA hat die EU ihre neuen Handelsverträge in zwei Teile aufgeteilt: Ein Teil regelt den Investitionsschutz, ein anderer Teil behandelt Handels- und Dienstleistungsliberalisierung. Dieser sehr viel weitreichendere Handelsteil wird als sogenanntes „EU only“-Abkommen eingestuft, über den ausschließlich der Ministerrat und das Europaparlament entscheiden.
„Wir dürfen die Kritik an der EU nicht den Europafeinden überlassen. Gerade weil wir für Europa sind, kritisieren wir die neuen europäischen Handelsverträge. Mit ihren undemokratischen Vertragsgremien vergrößern sie die Kluft zwischen den EU-Institutionen und den Bürgerinnen und Bürgern. Die Abkommen sind ein Türöffner für einen noch stärkeren Einfluss von Konzerninteressen auf die Politik in Europa – zum Nachteil von Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz.“
Thilo Bode, Geschäftsführer von foodwatch International